Mittwoch, 5. Oktober 2011

Rezension - Joe Nesbo - "Die Larve"

Handlung:
Es sind keine guten Neuigkeiten, die Harry Hole im neunten Fall der Joe Nesbo-Reihe aus China wieder ins graue, neue, alte Oslo reisen lassen. Sein Stiefsohn Oleg soll einen Mord begangen haben. Harry beginnt umgehend zu ermitteln und gerät tiefer und tiefer in den Sumpf von Drogen, Korruption und Mord. Irrt Harry in seinem Glauben daran, dass Oleg „es nicht in sich hat“ und diesen Mord nicht begannen hat? Wird es einen Neuanfang mit Rakel geben?

Erzählperspektive:
Zum einen gewährt Nesbo dem Leser Einblicke in das Leben und die Entwicklung des ermordeten, drogensüchtigen jungen Mannes Gusto, indem er ihn in der Ich-Perspektive in einer Art Lebensbeichte an seinen leiblichen Vater gerichtet zu Wort kommen lässt. Die Erzählungen Gustos spielen wenige Augenblicke vor seinem Tode, werden allerdings erst nach und nach in kursiv gesetzten Kapiteln enthüllt. Während Harry also den Fall neu aufrollt, erklärt Gusto in der Vergangenheit, wie und warum er zu Drogen und zum Dealen kam, wie er Oleg kennenlernte und welche Rolle seine Stiefschwester Irene spielt. Man ist immer versucht, vor zu blättern, um endlich zu erfahren, wer Gusto ermordet hat und kann sich sehr gut einfühlen. Eine sehr geschickte Erzählweise, da das Opfer nicht anonym bleibt, sondern selbst zu Wort kommt.
Die anderen Kapitel sind in der personalen Erzählperspektive verfasst und greifen jeweils die Handlungen eines Akteurs auf. So kann man zu Beginn eines jeden Kapitel gut erkennen, dass es ein „Harry-Hole-Kapitel“ oder z.B. ein „Sergej-Kapitel“ ist, was sehr abwechslungsreich ist und das Gefühlt gibt, die Personen, ihre Gedanken und Gefühle besonders intensiv kennenzulernen. Erst nach und nach verweben sich die Erzählstränge zu einer kompakten Handlung.
Leseeindruck:
Jo Nesboe versteht es auch in diesem Band wieder, Spannung aufkommen zu lassen und zunächst lose Ereignisse zu erzählen, die sich erst nach und nach zu einem Ganzen fügen. Es wird ein düsteres, dekadentes Bild von Oslo gezeichnet, das perfekt zum Geschehen passt und die Abgründe einer Großstadt offenbart. Der Schreibstil ist flüssig und präzise. Weder versinkt Nesbo in allzu verwirrenden Abhandlungen über Drogen und deren Wirkstoffe noch kommen die Hintergründe der Drogenszene und die äußerst komplexen Strukturen, die bis hinauf in die obersten Ebenen der Osloer Regierungskreise reichen, zu kurz. Tragik, Spannung und interessante Fakten halten sich die Waage. Man wird förmlich in die Handlung hinein gesogen und baut zu den Charakteren eine Beziehung auf. Jo Nesbo versteht sich darauf, keine „Schwarz-Weiß-Kultur“ zu betreiben. Es gibt nicht nur Gute oder Böse in seinen Romanen, sondern immer viele Facetten dazwischen. Als Leser habe ich mich durchaus gefragt, wie ich in vielen Situationen gehandelt hätte? Wie schmal ist der Grat zwischen eigenen Bedürfnissen und Korruption? Macht Macht böse? Und wie könnte man Jugendliche vor dem Einstieg in die Drogen-Szene bewahren?
Jo Nesbo hat sich mit „Die Larve“ noch einmal selbst übertroffen und keine Wünsche offen gelassen. Besonders positiv finde ich, dass der Roman wieder in Oslo spielt und es ein Wiedersehen mit vielen Bekannten gibt. Empfehlenswert ist es aber unbedingt, zuvor zumindest „Der Schneemann“ und auch „Der Leopard“ gelesen zu haben, um in die Handlung besser einsteigen zu können. Wer Harry Hole, den privat glücklosen Columbo Norwegens, schon ins Herz geschlossen hat, der kann sich auf diesen außergewöhnlichen Krimi freuen und alle anderen sollten sich die Mühe machen, Harry kennenzulernen. Es lohnt sich. 

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